Im Andenken an das jüdische Leben in unserer Gemeinde

Jüdische Familien in der Gemeinde Scheiblingkirchen

In der Gemeinde Scheiblingkirchen gab es zwei jüdische Kaufmannsläden. 1879 erwarb Julius Löbl die Liegenschaft 16 in Scheiblingkirchen. Dort führten Leopold und Hermine Löbl ein Geschäft. Sie wurden von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen als liebenswürdig und nett beschrieben. Im März 1938 wurden sie vertrieben. 1941 nach der Bestellung eines Abwesenheitskurators erwarb der Parteifunktionär Franz Mayer das Geschäft bis die Liegenschaft schließlich 1949 an Frau Hermine Löbl zurückgegeben wurde. Die Familie Löbl verpachtete das Geschäft an Josef Heinrich, der eine Gemischtwarenhandlung weiterführte. 1980 erwarben Gottfried und Maria Kahofer die Liegenschaft. Das Geschäftslokal wurde abgerissen.

In Gleißenfeld errichtete die Familie Löbl einen weiteren Kaufmannsladen (im heutigen Wohnhaus der Familie Pfeifer). Er wurde von Ferdinand und Helene Löbl geführt. Ferdinand Löbl war als Mitglied der Feuerwehr sehr gut integriert. Das änderte sich durch den Nationalsozialismus und den damit zunehmenden Antisemitismus. Am 9. April 1939 erhängte er sich. Seine Frau Helene und ihre beiden Kinder wurden 1942 in das Lager Wlodawa deportiert, wo sie ums Leben kamen.

Dr. Moritz Oppenheim, ein Wiener Hautarzt, erwarb in der Schulgasse eine Villa und das dazu gehörende Grundstück. In weiterer Folge kaufte er einen riesigen Garten bis zum Ufer der Pitten. Er wollte auch noch eine große Liegenschaft nahe beim Pfarrhof erwerben, was durch den damaligen Pfarrer vereitelt wurde, indem er sie für die Pfarre kaufte, "um den Pfarrhof vor der vollständigen Einschließung durch Juden zu bewahren".

Frau Oppenheim verbrachte mit ihren beiden Töchtern viel Zeit in Scheiblingkirchen, ihr Mann kam immer am Wochenende. Die Familie Ostermann waren die Hausmeister in der Villa. Sie bewohnten den Keller. Frau Ostermann kochte auch oft für die Familie Oppenheim.

Nach dem Anschluss 1938 reiste die Familie Oppenheim nach Chicago aus. Ihr Besitz konnte nicht von den Nationalsozialisten beschlagnahmt werden, weil er im Grundbuch auf den Namen der Ehefrau Karoline Oppenheim, die keine Jüdin war, eingetragen war.

1954 verkaufte die Familie den gesamten Grundbesitz an die Gemeinde unter Bürgermeister Johann Stangl, der darauf eine neue Volksschule, eine Hauptschule und eine Turnhalle errichten ließ. Den verbleibenden Baugrund in der Badgasse verkaufte die Gemeinde an private "Häuselbauer".

Die fünf Häuser in der Altenheimstraße rechts nach der Auffahrt nach Reitersberg, von Scheiblingkirchen kommend, sind als "Laub-Häuser" bekannt. Sie bekamen ihren Namen von der jüdischen Familie Laub.

1921 erwarb Adolfo Laub diese Häuser, das große Grundstück gegenüber und ein Grundstück am anderen Ufer der Schlatten. Die Familie stammte aus Polen und baute in Wien ein Buchbindergeschäft auf. Adolfo war 1910 nach Argentinien ausgewandert. Nachdem die Geschäfte dort nicht gut gingen, kehrte er nach sechs Jahren nach Wien zurück.
In diesen fünf Häusern in Scheiblingkirchen verbrachte die Familie Laub mit Freunden und Sommergästen viel Zeit. Unter ihnen war auch der spätere Präsident der Innsbrucker Kultusgemeinde.

1935 traf die Familie ein schwerer Schicksalsschlag. Adolfos Frau Emma verwechselte Heidelbeeren mit Tollkirschen und starb an der Vergiftung.

Adolfo Laub wanderte 1938 nach Argentinien aus. Sein Besitz wurde nicht beschlagnahmt, weil er die argentinische Staatsbürgerschaft angenommen hatte. 1954 kam Adolfo mit seiner zweiten Frau, seinem Sohn Hans und dessen Tochter Claudia nach Scheiblingkirchen, um seinen Besitz zu veräußern. Auch in diesem Fall war es der Bürgermeister Johann Stangl, der die gesamte Liegenschaft für die Gemeinde erwarb. Die Häuser wurden zum Teil gleich an die Mieter verkauft, im Garten gegenüber wurden ein Altenwohnheim und ein Schwimmbad errichtet. Am anderen Ufer der Schlatten entstand ein Fußballplatz.

Wenn die Familien längere Zeit in Scheiblingkirchen verbrachten, besuchten ihre Kinder hier die Volksschule. Von 1890 bis 1938 sind 32 Kinder mosaischen Glaubens in den Schulkatalogen eingetragen.


Im Zusammenhang mit den Recherchen für das jüdische Museum in Bad Erlach, das 2019 eröffnet wurde, und für das Buch "Eine versunkene Welt" hatte ich das Glück, mit Nachkommen der Familie Laub Kontakt aufnehmen zu können. Zur Museumseröffnung kamen sie nach Österreich und für ein paar Tage auch nach Scheiblingkirchen. Ich konnte ihnen die Plätze ihrer Vorfahren zeigen. Als Claudia vor dem Haus, in dem ihre Großeltern gewohnt hatten, stand, hatte sie Tränen in den Augen.


Wenn Sie Interesse an einem ausführlichen Bericht, bzw. an der Geschichte jüdischer Familien in der Buckligen Welt haben, können Sie im Buch "Eine versunkene Welt" von den Autoren Johann Hagenhofer, Gert Dressel und Werner Sulzgruber, erschienen im Kral-Verlag, nachlesen.


Maria Stangl



Nicht mehr viele Personen aus unserer Bevölkerung können sich an die Kaufmannsfamilien Löbl aus Scheiblingkirchen und Gleißenfeld erinnern oder an den Hautarzt Dr. Moritz Oppenheim, der in der Schulgasse wohnte. Viele flohen wegen der Judenverfolgung vor und während des zweiten Weltkrieges und damit änderten sich auch die Besitzverhältnisse vieler Liegenschaften in unserer Gemeinde. Viele Familien mussten ihr Hab und Gut verkaufen, um die Flucht finanzieren zu können, wieder andere verkauften ihre Besitztümer, wenn sie nicht beschlagnahmt wurden, erst lange nach dem zweiten Weltkrieg. So auch die Familie Oppenheim, auf deren Gründe heute unser Schulzentrum in Scheiblingkirchen steht. Es erwarb der damalige Bürgermeister Johann Stangl im Jahr 1954. Ebenfalls konnte er im Namen der Gemeinde die Grundstücke erwerben, auf denen das ehemalige Altersheim stand und der Fußballplatz errichtet wurde. Diese Liegenschaften verkauften die Nachfahren der Familie Laub aus der Altenheimstraße. 

Nachdem diese durch die Marktgemeinde ScheiQR-Codeblingkirchen-Thernberg erworbenen Liegenschaften nicht unerheblich für die Gemeindeinfrastruktur sind, entschloss man sich dazu, einen Gedenkstein an das jüdische Leben in unserer Gemeinde zu errichten. Wir können damit die Zeit nicht zurückdrehen, können aber ein Zeichen der Anteilnahme und der Wertschätzung gegenüber aller jüdischen Personen in unserer Gemeinde setzen. Am 3. Juli 2023 wurde daher die Errichtung einstimmig im Gemeinderat beschlossen. Die Umsetzung erfolgte durch Steinmetzmeister Karl Danhel, der intensiv mit der Historikerin Maria Stangl zusammenarbeitete. In der Pfarrgasse steht nun ein Gedenkstein, durch dessen Mitte ein Riss skizziert wurde, der an die Zerrissenheit der damaligen Bevölkerung erinnern und auch mahnen soll. Eine darauf angebrachte Platte mit einem QR Code, verlinkt den Betrachter mit unserer Gemeindehomepage, wo die Geschichten einiger Familien nachzulesen sind. 

Frau Maria Stangl hatte erst vor kurzem wieder Kontakt zu Nachkommen der Familie Laub, die in Südamerika wohnen, und diesen Sommer auf Europareise waren. Sie zeigte ihnen das Areal der Laubhäuser in der Altenheimstraße. Frau Stangl erzählt leidenschaftlich von diesen Begegnungen und erinnert sich gerne an die spannende Zeit vor einigen Jahren zurück, in der sie all die Recherchen rund um die genannten jüdischen Familien einholte. 

Wir bedanken uns sehr herzlich bei Frau Stangl für ihren unermüdlichen Einsatz rund um die historischen Ereignisse in unserer Gemeinde und danken für die Mithilfe bei der Umsetzung des jüdischen Gedenksteins. Ebenso ein großes Dankeschön an Karl Danhel für die meisterhafte Steinmetzarbeit. 


Foto GedenksteinPersonen von links: Bürgermeister Johann Lindner, Historikerin Maria Stangl, GfGR Lukas Heilingsetzer, GfGR Karl Danhel, GR Renate Stadler, Vizebürgermeisterin Waltraud Ungersböck

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